tl;dr: René Obermann schreibt in seinem Brief an Philipp Rösler einigen Unzusammenhängenden Quatsch, den ich mal hier auseinander genommen habe. Wenn Obermann seine Argumentation tatsächlich ernst meint, dann möchte er, dass 390.000 Telekom-Kunden, die sogenannten „Extremnutzer“, den 80 Milliarden Euro Netzausbau finanzieren. Das wären auch nur 205.128,20 Euro pro Nase, in der Welt von René Obermann wahrscheinlich Porto Cash.

René Obermann, seines Zeichens Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom, veröffentlicht einen Brief an Philipp Rösler im Internet (Piraten wirken!). Hintergrund ist, dass Rösler einen Brief an Obermann schrieb, der zufällig (höhö) in den Medien auftauchte. Obermann will die Debatte versachlichen, die Debatte darum, dass die Telekom zukünftig ein Datenvolumen in ihre DSL-Tarife einbauen wird, ein Volumen, dass dazu führen wird, dass der Anschluss de facto unnutzbar ist, wenn am Ende vom Volumen noch Monat da ist. Obermann hat diesen Brief einscannen lassen, d.h. ich muss hier mühsam abtippen um daraus zu zitieren, was auf meiner Seite jetzt nicht unbedingt die Wogen glättet. Sagt natürlich einiges über Herr Obermanns Technikverständnis aus, wenn er einen Brief so veröffentlicht.

Ich zitiere lose aus dem Brief und analysiere ihn ein wenig, denn meiner Meinung nach ist er großes Popcorn.

„ […] leider werden in der jetzigen Debatte Begriffe wie Netzneutralität und Sicherstellung von Wettbewerb dahingehend missbraucht, einen Flatrate-Anspruch auf ein unbegrenztes Datenvolumen im Internet zu zementieren.“

Fängt ja schon mal gut an, der Brief von Herrn Obermann. Gegner der Volumentarife missbrauchen also Begriffe, um einen „Flatrate-Anspruch“ zu zementieren. Also ohne Herrn Obermann zu nahe treten zu wollen, bisher hat die Telekom den Flatrate-Anspruch ihrer Kunden in den AGB ihrer DSL-Tarife zementiert. Es ist nicht so, dass das jemals zur Debatte stand. Im Gegenteil. Bis zu dem Moment, wo die Telekom ihre Volumenbegrenzungspläne bekannt machte war für den einfachen Kunden nicht abzusehen, dass es auf einmal eine geben wird. Ich bin mir nicht sicher, aber ich würde sogar behaupten, dass es die Deutsche Telekom war, die das Wort „Flatrate“ in Deutschland im Zuge der Einführung ihrer DSL-Tarife überhaupt erst salonfähig gemacht hat.

„Bei der immensen Steigerung der Verkehrsmengen und der immer größeren Leistungsanforderung an die Netze wird das aber dauerhaft nicht funktionieren, jedenfalls nicht, solange die nötigen Milliardeninvestitionen und der Betrieb der Netze privatwirtschaftlich zu erbringen sind.“

Ich dachte ja immer, sowas regelt Angebot und Nachfrage, also es gibt eine Nachfrage an schnellem DSL, die Telekom liefert das Angebot und Kunde und Unternehmen werden sich einig. Da es kein Gesetz gibt, das der Telekom vorschreibt „immer größere Leistungsanforderungen“ zu erfüllen, kommen diese Leistungsanforderungen also entweder von der Telekom selbst oder vom Kunden. Ergo ist die Telekom nicht bereit diese Nachfrage zu bedienen, weil hierzu Milliardeninvestitionen nötig sind. Ich versteh das jetzt mal so, dass sich Herr Obermann wünscht, dass Wirtschaftsministerium soll der Telekom das Netz irgendwie ausbauen, denn ich kann mir kaum vorstellen, dass Herr Obermann das Netz zurückgeben will. Auch interessant, Obermann spricht von „immensen Steigerungen der Verkehrsmengen“, ohne genaue Angaben hierüber zu machen. Aber warum sollte man dem Wirtschaftsminister auch erzählen, wie sich das eigene Unternehmen entwickelt, insbesondere wenn man etwas von ihm möchte.

„Wir stehen im harten Wettbewerb, wollen unsere Kundinnen und Kunden auch künftig fair behandeln und ihnen preiswerte Angebote machen.“

Als Telekomkunde schaudert es mir natürlich ein wenig, wenn die Art und Weise wie ich vom Unternehmen behandelt werde als fair bezeichnet wird, aber seis drum. Interessante Info des Satzes ist: Die Angebote der Telekom sollen preiswert sein. Eben noch Obermanns Hinweis, dass für den Ausbau des Netzes Milliardeninvestitionen nötig sind, jetzt die Klarstellung: Es soll preiswert bleiben.

„Deshalb kann es uns mit der für 2016 geplanten Vorgehensweise auch gelingen, für ca. 97 Prozent der Kunden die Preise stabil zu halten.“

Das ist ein Knallersatz, den man sich auf der Zunge zergehen lassen muss: Die Preise sollen stabil gehalten werden. Ich weiß ja nicht wie das bei euch so ist, aber die Preise meines DSL-Anschlusses haben sich nie geändert, es sei denn, ich habe aktiv in diese Änderung eingewilligt sprich, ich habe einen anderen Tarif gewählt. Ich weiß nicht, wer in der Vergangenheit durch die Preisschwankungen bei DSL-Anschlüssen betroffen war, also als Kunde, mir sind jetzt keine Fälle bekannt, wo instabile Preise die Existenz eines Kunden bedroht hätten. Schön natürlich auch die versteckte Drohung: Wenn wir diese Vorgehensweise nicht verfolgen werden, dann werden auch die Preise nicht stabil bleiben. Nun, aber das liebe Telekom ist ja dann eher ein Problem des Unternehmens als des Kunden, siehe auch „harter Wettbewerb“. Außerdem bedeutet der Satz natürlich auch, dass für 3% der Kunden die Preise eben nicht stabil bleiben. Aber auf die kommt Obermann jetzt.

„Folglich wären nach heutigem Stand von dieser vorgesehenen Preisänderung nur ca. drei Prozent der Kunden betroffen. Diese drei Prozent nutzen in unserem Netz 10-20 Mal größere Datenmengen als ein durchschnittlicher Kunde, der ca. 15-20 Gigabyte/Monat verbraucht.“

Meine Damen und Herren, wir haben den Kabinendruck verloren!

Obermann spricht von 3% Kunden, die eben das machen, was ihnen die AGB ihres Vertrages erlauben. Diese 3%, das sind immerhin 372.900 Menschen, sollen also mehr bezahlen. Weil sie im Zweifelsfall das 20fache der Daten eines durchschnittlichen Kunden nutzen. Das heißt, was die Datennutzung angeht verhalten sich diese 372.900 Menschen wie 3.729.000-7.458.000 Menschen. Im Moment hat die Telekom 12,43 Mio. DSL-Kunden (Zahlen aus dem vierten Quartal 2012). Hätte sie also 16-20 Millionen Kunden, die alle 15-20 Gigabyte im Monat nutzen, so müssten sie auch eine Volumengrenze einziehen, denn das ist laut Obemanns Brief ja anscheinend die magische Grenze. Obermann argumentiert perfide, der bisherige Brief lässt sich mit „3% unserer Kunden missbrauchen ihren Flatrate-Anspruch, deswegen müssen wir unsere Tarife ändern, um unsere preiswerten Preise stabil zu halten.“ Ich finde verblüffend, dass ein Weltweit operierendes Unternehmen anscheinend von 370.000 Menschen so aus dem Konzept gebracht wird. Interessant ist diese ganze „das Boot ist voll“-Argumentation auch, wenn man sich die Entwicklung der DSL-Anschlüsse bei der Telekom anguckt. Vom ersten Quartal 2007 bis zum vierten Quartal 2008 stieg die Zahl der DSL-Kunden um knapp drei Millionen. Vom ersten Quartal 2009 bis zum vierten Quartal 2012 nur noch um zwei Millionen. Obwohl die Telekom also stetig Kunden dazu gewinnt, tut sie dies im Moment deutlich langsamer, als noch zwischen 2007 und 2008. Im Jahr 2012 kamen z.B. lediglich 60.000 neue Anschlüsse dazu. Man könnte auch sagen, seit 2010 stagniert die Zahl der DSL-Kunden bei der Deutschen Telekom auf hohem Niveau. Diese Stagnation also veranlasst Herrn Obermann, davon auszugehen, dass im Jahr 2016 97% aller Telekomkunden stabile Preise haben werden. Es wird aber noch besser.

„Die Alternative wäre eine Preiserhöhung für alle Kunden, die in unseren Augen weder klug noch gerecht wäre. Um aber auch den drei Prozent Extremnutzern nach Erreichen ihrer Inklusiv-Volumen ein schnelles Netz zu ermöglichen, werden wir – wie im Mobilfunk üblich – Angebote machen, die sowohl mehr Volumen als auch hohe Geschwindigkeit enthalten.“

Lieber René Obermann, jetzt erklären Sie mir mal eins: Warum ist eine Vertragsklausel, die alle Kunden betrifft, weil sie in alle Neuverträge reingeschrieben wird, keine Preiserhöhung für alle Kunden? Weil sie davon ausgehen, dass alle Kunden außer die „Extremnutzer“ gar nicht in den Bereich kommen, wo ihr Datenvolumen aufgebraucht ist? Wenn Sie davon ausgehen, dass 97% der Kunden eh nie das Datenvolumen erreichen, warum schreiben Sie es dann in alle Neuverträge rein? Besonders geil finde ich, dass René Obermann, Kunden, die das tun was ihnen ihre Verträge erlauben, „Extremnutzer“ nennt. Dann sind Lastkraftwagenfahrer wahrscheinlich auch „Extremnutzer“ der Autobahn. Wie ist das eigentlich mit „Extremnutzern“ in unserem Gesundheitssystem? Ach, da tragen alle solidarisch die Kosten von chronisch Kranken? Wahnsinn. Obermann stellt sich hin und tut so, als sei eine solidarische Finanzierung von etwas nicht möglich und als hätte es so etwas in Deutschland noch nie gegeben. Stattdessen erzählt er einen Quatsch von Preiserhöhungen, die man den Kunden ersparen wolle, sie aber mal pro forma allen reinschreibt. Wegen den „Extremnutzern“ halt. Fast kommt man zum Schluss, dass sich die Telekom in der Hand einer terroristischen Vereinigung befindet und fies erpresst wird. Aber nur fast.

„Es geht aktuell übrigens nur um eine Änderung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen neuer Verträge.“

Beantworte mir mal bitte einer die folgende Frage: Angenommen ich gehöre zu Obermanns „Extremnutzern“, habe einen DSL-Vertrag ohne Volumengrenze und VDSL 50.000 oder sogar Glasfaser mit 100 oder 200 MBit die Sekunde. Warum zum Teufel sollte ich meinen Altvertrag gegen einen Neuvertrag mit Volumengrenze tauschen? Warum sollte ich mich, wenn mir die Telekom eine Mail oder einen Brief schickt, in dem sie mich darüber informiert, dass die AGB meines Altvertrages geändert werden, nicht dagegen wehren? Wie Herr Obermann werden denn die 3% „Extremnutzer“ von der Deutschen Telekom dazu bewegt, in diesen kompletten Schwachsinn einzuwilligen? Diese Volumengrenzen werden also vor allem Neukunden betreffen, die aufgrund ihrer Mediennutzung über das Datenvolumen ihres Tarifs kommen. Also grade nicht die 3% „Extremnutzer“ die es ja eigentlich treffen soll.

Es folgen noch einige Zurückweisungen, in denen Obermann zurückweist, dass es sich bei den Volumen um einen Eingriff in die Netzneutralität handele, dass das Wirtschaftsministerium ja vorher informiert worden sei und das er hofft, ein wenig aufgeklärt zu haben.

Er erklärt in seinem Brief übrigens folgendes nicht: Die Telekom braucht Milliarden für den Netzausbau. Diese sollen von den Kunden kommen, also nicht von allen Kunden, sondern von den „Extremnutzern“ deswegen die Volumentarife. Mal angenommen, die Telekom wächst wie im Moment und hat im Jahr 2016 13 Mio DSL-Kunden, dann wären da 390.000 „Extremnutzer“. Der Netzausbau kostet laut Telekom 80 Milliarden Euro. Bleiben also für jeden „Extremnutzer“ 205.128,20 Euro, die er/sie für den Netzausbau aufwenden muss. Soll das so funktionieren? Wirklich? Ist René Obermann wirklich der Meinung, er ist durch Volumentarife in der Lage, 390.000 Menschen 80 Milliarden Euro aus der Tasche zu ziehen? Ich meine einen Versuch ist es ja wert, aber ich hab da so meine Zweifel, dass das klappt.

Alles in allem bleibt bei mir der Eindruck, dass sich die Telekom am Netz einfach etwas verhoben hat. Ist ja nicht schlimm, wir können es ja zurück nehmen. Damit in Zukunft alle Nutzerinnen und Nutzer ohne Volumengrenze surfen können und sich die Telekom darauf konzentrieren kann, die Preise stabil zu halten.

Quellen: Brief von Obermann an Rösler, Die Zahlen zur Kundenentwicklung der Telekom habe ich von Statista.