Die Piratenpartei ging ja nicht nur an der durch Sven Regener losgetretenen Urheberrechtsdebatte  kaputt, sondern auch an ihrer intensiven Nutzung der sozialen Netzwerke, insbesondere Twitter. Insofern waren ihr Zerfall, ihre innerparteilichen Zerwürfnisse ein Vorbote dafür, was noch kommen sollte und was wir jetzt erleben: Ich nenne es die Piratisierung des öffentlichen Diskurses, insbesondere in den Massenmedien.

Die Piratisierung des öffentlichen Diskurses zeichnet sich aus durch:

1. Meinung, Gefühle und Befindlichkeiten statt Fakten
2. Die krasseste, dümmste Aussage/Forderung/Meinung wird am meisten verbreitet
3. Relativierung tatsächlicher Probleme mit totalem Blödsinn

Beispiele:

Jens Spahn. Jens Spahn ist ein Internetphänomen. Wirklich, fragt mal ältere Menschen, ob sie Jens Spahn kennen. Im Interview mit Tilo Jung konnte der gelernte Bankkaufmann und studierte Politologe (Studium neben dem Bundestagsmandat, das er seit seinem 22 Lebensjahr hält), nicht erklären, wie viel Erbschaftssteuer man auf ein Erbe von 100.000.000 Euro zahlen müsste, obwohl er zu dem Zeitpunkt schon vier Jahre lang Staatssekretär für Finanzen war. Er gab der Welt ein Interview darüber, dass er „Burkaphob“ sei und es verklemmt fände, wenn „arabische Muskelmachos“ in seinem Fitnessstudio mit Speedo in der Gemeinschaftsdusche stehen würden. Spahn äußert sich von zu allem, frei von Kenntnis, dafür aber immer schön polarisierend. Was natürlich wie Arsch auf Eimer zu einem Diskurs passt, der sich vor allem daran orientiert, welche Aussage wie viele Klicks bringt. Dabei stört es auch nicht, wenn die Person die sich äußert im Grunde genommen nichts anderes kennt als Parteilaufbahn und Bundestagsmandat, also, wie es so schön heißt, keine Lebenserfahrung hat. Das, was Jens Spahn mitzuteilen hat ist frei von Relevanz. Trotzdem wird es verbreitet und besprochen, als ob er uns etwas zu sagen hätte.

Ein weiteres Beispiel wäre Rainer Wendt, der sogenannte Polizeigewerkschafter, der elf Jahre lang illegal das Gehalt eines Polizisten in NRW bezog, sogar befördert wurde, ohne dafür zu arbeiten. Ich gönne wirklich jedem elf Jahre lang Bedingungsloses Grundeinkommen, wer aber wie Rainer Wendt austeilt und sich öffentlich zum Moralapostel stilisiert, der sollte aus einem solchen persönlichen Fehlverhalten Konsequenzen ziehen und seinen Posten Räumen und das illegal bezogene Geld zurück zahlen. Tut er das? Bis jetzt nicht. Hat es für ihn Konsequenzen? Anscheinend auch nicht, denn er kann in den Medien fröhlich weiter seine Meinung verbreiten und Dinge fordern, vollkommen unabhängig davon, ob sie etwas mit der Realität zu tun hat, oder nicht.

Zuletzt: In der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung „Die Zeit“ darf sich ein Mann über die Barbarei des Feminismus aufregen. Der Autor vergleicht sich mit Muslimen, die würden ja auch in Sippenhaft genommen werden für Anschläge irgendwelcher Terroristen (Wozu man sagen muss, dass diese Verknüpfung ja bewusst stattfindet und man sie einfach sein lassen könnte, aber dann könnte man halt nicht so schön gegen Muslime hetzen). Sippenhaft ist also schlecht, gleichzeitig werden alle Feministinnen in Sippenhaft genommen, so geht Diskurs! Klar kann man der Meinung sein, dass so ein Thema auf den Titel einer großen deutschen Wochenzeitung gehört, aber man kann sich auch die Frage stellen, ob das individuelle Problem eines Zeit-Mitarbeiters mit Frauen, die für gleiche Rechte kämpfen, so Repräsentativ ist.

Und jetzt? Mehr Sachlichkeit

Das alles sind Phänomene, die es nicht gäbe, wenn sich Journalistinnen und Journalisten ein Bisschen verantwortungsvoller verhalten würden. Das würde aber bedeuten, dass man zwei Minuten nachdenkt, bevor man irgendeinen Blödsinn, irgendeine Befindlichkeit zum Thema macht, nur weil man denkt, das würde gut klicken. Das würde insbesondere bedeuten, dass man so Medienpersönlichkeiten wie Spahn und Wendt nicht so leicht mit ihrem Blödsinn davon kommen lässt. Es würde bei Spahn ja schon vollkommen reichen, dass man ihn nur noch zu Gesundheitsthemen zu Wort kommen lässt. Jedem anderen Politiker würde Sprunghaftigkeit vorgeworfen werden, Spahn darf sich momentan zu allem äußern und was er von sich gibt, wird dann auch noch so diskutiert, als hätte er was zu sagen. Es ist am Ende des Tages eine Frage, was für eine Politik man in Deutschland möchte, eine, in der nur noch verlautbart wird oder eine, die tatsächlich arbeitet. Das ohnehin schon auf Show ausgerichtete Anreizsystem der politischen Berichterstattung wird im Moment noch weiter in eine Richtung verschoben, in der diejenigen belohnt werden, die frei von Kenntnis etwas polarisierendes sagen. Das ist meinetwegen bei Germanys Next Topmodel noch okay, in der Politik befördert das aber einen Stil, der schlussendlich zu so etwas wie Donald Trump führt. Das bedeutet für Journalistinnen und Journalisten nicht mehr nur noch die Verlautbarungen von Politikerinnen und Politikern zu übernehmen, sondern Politik dadurch herauszufordern, dass mit Fachkenntnis nachgehakt wird, was in den jeweiligen Politikbereichen durch die Regierung und Opposition gemacht wird. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Spahn bisher noch nicht gefragt wurde, wie er gedenkt die sieben Seiten Koalitionsvertrag umzusetzen, für die er als Gesundheitsminister verantwortlich ist. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass er darauf keine Antwort hätte. Genauso bin ich mir sicher, dass noch niemand Rainer Wendt gefragt hat, ob er gedenkt die elf Jahre lang illegal bezogenen Beamtensold zurückzuzahlen.

Zu diesem Männerthema will ich eigentlich nichts sagen, außer vielleicht – das las ich neulich auf Twitter – dass sich Männer angesichts dessen, was sie Frauen über Jahrhunderte angetan haben freuen sollten, dass Frauen nur Gleichberechtigung wollen und nicht zum Beispiel Rache.

Was tun?

Was kann man selbst tun, gegen diesen sich auf sozialen Medien verbreitenden Schwachsinn? Aufpassen, dass man sich nicht im Frame dessen bewegt, was man eigentlich ablehnt. Wer bis hierhin gelesen hat merkt, dass ich viele Wörter gebraucht habe um zu erklären, warum ich die Piratisierung des öffentlichen Diskurses schlecht finde. Dabei habe ich Positionen verbreitet, die ich gar nicht verbreiten wollte, um meinen Standpunkt zu erklären. Das ist eine Falle, in die man leicht tappt, wenn man sich im Netz über Dinge aufregt. Man beschäftigt sich so intensiv

Zielführender wäre es ja, seine eigene Position zu gesellschaftlichen und politischen Fragen dar zu legen, damit diese weiter verbreitet wird. Also ein Vorschlag zur Güte: Wenn Spahn das nächste mal irgendeinen Blödsinn fordert oder sich zu etwas äußert, was nichts mit Gesundheit zu tun hat, das betreffende Medium freundlich fragen, warum es diese Aussage für Relevant hält. Wichtiger wäre, den eigenen Standpunkt dazu klar zu machen, ohne die kritisierte Aussage direkt zu verlinken bzw. zu erwähnen. D.h. wenn Spahn sich wieder über Arbeitslosengeld zwei Empfängerinnen und Empfänger lustig macht, darlegen, warum Hartz IV abgeschafft werden sollte und nicht Spahn und seinen Aussagen Raum geben. Man muss sich solche polarisierenden Positionen wie Viren vorstellen, die sich sehr schnell verbreiten und dabei viel Schaden anrichten können. Man schützt sich mit Hygiene davor, man wäscht sich also die Hände, vermeidet Kontakt mit Menschen, von denen man weiß dass sie krank sind. Es ist ersichtlich, dass es besser ist, Menschen darüber aufzuklären, wie man sich gegen einen Virus schützt, statt sich lautstark darüber aufzuregen, dass es den Virus gibt.

Ich weiß, das ist sehr schwierig, ich halte mich auch oft nicht dran, es geht gegen den Impuls, den man auf Twitter hat, schnell etwas kommentieren zu müssen, aber ich habe die Hoffnung, dass es dabei helfen kann, im Sinne einer mentalen Hygiene den Schwachsinn, mit dem man sich in der öffentlichen Debatte auseinander setzen muss, ein wenig einzudämmen.

 

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